Schmerzformen

Wege aus dem Schmerz

Viele Menschen leiden täglich Schmerzen, obwohl akute Auslöser zu fehlen scheinen. Schmerz ist ein Warnsignal unseres Körpers für eine Erkrankung, eine Verletzung oder auch nur eine falsche Bewegung. Doch etwa 15 Millionen Deutsche leiden dauerhaft unter Schmerzen. Sie ertragen häufig Tag und Nacht Qualen, obwohl offensichtlich akut weder eine Verletzung, noch eine Krankheit vorliegt. Oft dauert es viele Jahre, bis sie an einen spezialisierten Arzt geraten, der ihnen tatsächlich helfen kann. Denn die Forschung macht große Fortschritte: Niemand muss heute chronische Schmerzen wie ein unabänderliches Schicksal einfach hinnehmen.

Jeder von uns kennt das: Wenn ein Zahn weh tut, gehen wir zum Zahnarzt. Ob der Hals entzündet ist oder der Knöchel verstaucht – der Schmerz macht uns darauf aufmerksam. Dann nehmen wir Tabletten gegen die Halsentzündung, oder lassen den kranken Knöchel behandeln und der Schmerz lässt nach und verschwindet.

Manchmal kann unser Körper selbst den Schmerz unterdrücken – beim Sport beispielsweise, wenn wir trotz Verletzung unser Tennismatch unbedingt siegreich zu Ende bringen wollen. In solchen Momenten aktiviert der Körper seine eigene Schmerzabwehr, die den Schmerz vergessen macht.

Was aber, wenn das körpereigene Warnsystem auf Dauerbetrieb schaltet? Wenn es keine akute Schmerzreizung gibt? Wenn Schmerz nicht nur ein Symptom ist? Dann ist er chronisch und selbst zur Krankheit geworden. Chemische Botenstoffe haben die Nervenfasern im ganzen Körper permanent aktiviert. Es ist ein Schmerzgedächtnis entstanden, wie Fachleute sagen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Gedächtnisleistung wie beim Lernen englischer Vokabeln. Der Schmerz macht sich selbstständig. Wir haben es mit einer Art Dominoeffekt zu tun. Der Schmerz unterhält sich selbst, ähnlich einer Rückkopplung zwischen Ton-Verstärker und Lautsprecher.

Es gibt eigentlich keinen Grund für einen anhaltenden Schmerz. Die auslösende Schmerzreizung liegt lange zurück – aber die Nervenfasern sind noch aktiviert. Nach dem Körper verändert sich auch das zentrale Nervensystem: Die dort eintreffenden  Schmerzinformationen werden „falsch verrechnet“, sodass im Gehirn Erregungsmuster erzeugt werden, die viel länger andauern, als der auslösende Reiz. Mediziner sprechen dann von der Bildung eines Schmerzgedächtnisses. Vergleichbar vielleicht mit einer Alarmanlage in der Wohnung, die nach einem Fehlalarm weiter Lärm schlägt, obwohl längst alle in Frage kommenden Halt-Knöpfe gedrückt worden sind.

Bei der Entstehung von chronischen Schmerzerkrankungen spielen viele Vorgänge eine Rolle: zum Beispiel Entzündungen, Schmerzreflexe, die Ausbreitung der Erregung, sowie soziale und psychische Faktoren. Vier Eigenschaften charakterisieren krankhaften Schmerz und können zu einem chronischen Schmerz führen:

  • Normalerweise nicht schmerzhafte Reize werden als schmerzhaft erlebt
  • Schmerzreize bewirken eine überaus große Intensität des Schmerzes
  • Vorübergehende Schmerzreize rufen lang andauernde Schmerzen hervor
  • Schmerzreize führen zu einer räumlichen Ausbreitung von Schmerzen auf Körperregionen, die primär nicht betroffen waren.

Von chronischen Schmerzen sprechen Fachleute, wenn der Schmerz mindestens zwischen drei und sechs Monate anhält. Die Folgen sind gravierend: Behandlung und Folgekosten von chronischen Schmerzen verschlingen in Deutschland inzwischen etwa 30 Milliarden Euro im Jahr für Behandlung und die Folgekosten wie Arbeitsausfall und Frühverrentung. Vor 40 Jahren waren 12 verschiedene Kopfschmerz-Formen bekannt, heute sind es mehr als 250. Früher kam in Fachlehrbüchern das Wort Schmerz oft gar nicht vor, heute gibt es 800 Seiten starke Lehrbücher allein zum Kopfschmerz oder anderen speziellen Schmerzformen.

Mehr Frauen (62 Prozent) als Männer (38 Prozent) leiden unter Schmerzen. Aber Frauen lassen sich auch eher helfen. Wenn Frauen leiden, konzentrieren sie sich mehr auf die emotionalen und zwischenmenschlichen Aspekte: Sie denken an die Folgen ihres Leidens, für sie ist folgender Satz typisch: Ich kann für meine Familie nicht mehr einkaufen gehen, weil die Taschen zu schwer für meine Schulterschmerzen sind. Allerdings treten bei ihnen auch Ängste, Depressionen und Schlafstörungen im Zusammenhang mit Schmerzen öfter auf als beim vermeintlich starken Geschlecht.

Viele Schmerzpatienten neigen zu Medikamentenübergebrauch, fühlen sich austherapiert, hilflos und allein gelassen mit ihrer Krankheit. Für Gesunde scheint es kaum vorstellbar, was es bedeutet, mit unerträglichen Schmerzen den Tag zu bewältigen, nachts nicht schlafen zu können und die Gewissheit zu haben, dass die Tortour am nächsten Tag weiter geht.

Oft wird Schmerzempfinden durch Stress und Überlastung verstärkt. Chronische Schmerzen verändern die Funktionsweise unseres Nervensystems. Es folgen Veränderungen des Denkens, der Stimmung, des Antriebs und der Rückzug aus der sozialen Umgebung – in der Familie, unter Freunden und bei Kollegen am Arbeitsplatz. Chronische Schmerzpatienten werden oft hoffnungslos, depressiv und können am Leben nicht mehr teilnehmen. Die schmerzbedingte Persönlichkeitsänderung ist eine schwerwiegende Konsequenz chronischer Schmerzen. Dieses Schicksal muss heute niemand mehr einfach passiv hinnehmen.

Um gezielte und wirksame Hilfe für die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein zu ermöglichen, sind Behandlungsmöglichkeiten, Adressen und Selbsthilfeangebote auf dieser Homepage zusammengestellt.

Falls etwas fehlt oder neu hinzugekommen ist, bitten wir um eine E-Mail, um die Informationen mit aufzunehmen.